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Hamburg und seine Strassenbahn

Hermann Hoyer – eine Zeitreise in die Vergangenheit: Hamburg und seine Strassenbahn

Fast 42 Jahre sind seit der Stilllegung der Hamburger Straßenbahn vergangen. Eigentlich sollte daher zum Thema eigentlich alles gesagt und gezeigt sein. Ein neues Buch beweist aber, dass dem wohl nicht so ist. Die letzten beiden größeren Veröffentlichungen erschienen mit einem Buch über das Liniennetz und als Band 11 innerhalb der Reihe „Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland“ des EK-Verlages im Jahre 2008. In letzterer gab es zwar für einige kleinere Straßenbahnbetriebe, U-Bahn und S-Bahn ausführliche Fahrzeugstatistiken, nicht jedoch für den Straßenbahnbetrieb der Hamburger Hochbahn AG (HHA) ab 1919 und deren Vorgängerbetriebe. Begründet wurde dies nicht, aber wenn man im Vorwort las, wem für die Bearbeitung der Kapitel über den Wagenpark zu danken war, dann konnte der „Insider“ sich denken, warum. Der in der „Szene“ als „HHH“ Verkehrsfreund Hermann Hoyer (Hamburg), galt dort als „graue Eminenz“ hinsichtlich der Kenntnisse über den Fahrzeugpark der Hamburger Straßenbahn. Er war der Ansicht, die Statistiken seien durch die zahlreichen Umzeichnungen zu kompliziert, als dass sie jemand versteht und war nicht bereit, so etwas zu veröffentlichen. 

Nahezu gleichzeitig mit der Stilllegung des restlichen Betriebes waren in einer Schriftenreihe des „Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn e.V.“ (VVM) in den Jahren 1977 und 1978 zwei Broschüren über den Wagenpark der Hamburger Straßenbahn erschienen, deren Autor Hermann Hoyer war. Band 2 endete 1945. Bis zur Herausgabe des dritten Bandes über die Nachkriegszeit vergingen immerhin 16 Jahre, 1994 war es dann aus Anlass hundertjährigen Jubiläums der elektrischen Straßenbahn soweit. Allen Bänden eigen war zwar eine sehr in Einzelheiten gehende technische Beschreibung der Fahrzeuge und ihrer Umbauten, Statistiken zu deren Nummern und Verbleib fehlten aber aus oben genannten Gründen. Auch wurde viel Wissen vorausgesetzt, so dass sich für Ungeübte die Zusammenhänge der einzelnen Wagenserien und deren Umbauten nicht erschloss. So erwähnte Hoyer, um ein Beispiel zu nennen, in Band 2 bei der Beschreibung von Wagen der Bauart N5 (1. Bauabschnitt) mit keinen Wort, dass es sich hier um Umbauten der Type B aus der Frühzeit der SEG handelte. Hoyer war auch der Meinung, dass die Bezeichnungen Z1 und Z2 Erfindungen von Verkehrsamateuren waren, sie sind aber auch in „amtlichen“ Unterlagen zu finden und sollen nach einer Quelle im Jahr 1941 eingeführt worden sein.

Die zum Teil recht kleinen Fotos, deren Urheber ab den 1950er Jahren zum großen Teil Hermann Hoyer war, konzentrierten sich dem Thema entsprechend auf die Dokumentation der Fahrzeuge.

Als zweites Straßenbahnbuch nach dem Band über die END 2019 erschien nun bei VGB/Klartext der Band „Hamburg und seine Straßenbahn“. Autor ist der in der Eisenbahnszene vor allem für seine Veröffentlichungen über Güterwagen bekannte Eisenbahnfreund Stefan Carstens. In einer Buchreihe „Das besondere Archiv“ stellt er schon seit einigen Jahren immer wieder das Bildmaterial eher unbekannter Fotografen der Öffentlichkeit vor, die sich zumeist sehr speziellen Bereichen des Bahnwesens widmeten. Zusammen mit Kollegen kümmert er sich dabei auch um Übernahme, Erhalt und Aufarbeitung derartiger Sammlungen. Die Buchreihe bildet damit eine sinnvolle Ergänzung zur EK-Buchreihe „Alte Meister der Eisenbahnphotographie“ aber auch Einzelveröffentlichungen anderer Verlage, welche die nur zum Teil vom Namen her bekannten Fotografen als Person vorstellen und damit auch dem „Mann hinter der Kamera“ ein Gesicht geben.

Dass sich der Freund der Hamburger Straßenbahn über das neue Buch freuen kann ist, wie man dem Vorwort entnehmen kann, eher glücklichen Umständen zu verdanken, denn die bei der Sichtung des Nachlasses des 2016 verstorbenen Hermann Hoyer zunächst eher beiläufig betrachteten Filme mit Straßenbahnbildern begeisterten bei näherer Beschäftigung damit den gebürtigen Hamburger Carstens, zeigten sie doch die Straßenbahn der Hansestadt in ihrem baulichen Umfeld und dies schwerpunktmäßig ab Mitte der 1950er Jahre bis Ende der 1960er Jahre. Danach fuhren nur noch die Nachkriegsvierachser auf einem sich zunehmend reduzierenden Netz, was dann nicht nur Hoyer als langweilig empfand, sondern auch viele andere Verkehrsfotografen, die sich nun mit Hamburg nur noch selten ausgiebig beschäftigten und Ziele besuchten, wo der Wagenpark (auf dem der Schwerpunkt der fotografischen Tätigkeit vieler Fotografen lag) erheblich mehr Abwechslung versprach.

Hoyer hatte jedoch rechtzeitig begonnen in Hamburg Straßenbahnen zu fotografieren, besaß dabei auch ein Auge für das Motiv und dokumentierte neben den Fahrzeugen auch das Verkehrsmittel in seinem Umfeld. Dies brachte den Autor auf die Idee im Rahmen der Archivreihe mit einer Auswahl von Hoyers Bildern eine Zeitreise in die Vergangenheit Hamburgs zu unternehmen und dabei nicht nur den Verkehrsfreund anzusprechen, sondern auch den an Stadtentwicklung und Architektur Interessierten anzusprechen. Der Rezensent weiß aus eigener Erfahrung, dass Verkehrsbilder, die mehr als Fahrzeuge zeigen, auch bei Personen auf Interesse stoßen, denen eine Straßenbahn eigentlich gleichgültig ist.

Da in Sachen Straßenbahn nicht bewandert, versicherte sich der Autor mit Rainer Dodt der Unterstützung eines sachkundigen Verkehrsfreundes. Auch schien es reizvoll, die auf den Bildern dokumentierten „Ecken“ der Stadt einmal in ihrem „Ist-Zustand“ anzusehen, was sich vielfach in entsprechenden Anmerkungen bei den ausführlichen Bildunterschriften zum Wiedererkennungswert gezeigter Szenen niederschlägt.

Der Aufbau des Inhalts verrät den erfahrenen Buchautor, denn er folgt der sinnvollsten Form. Den Angaben zum Fotografen in Form von Beiträgen seiner Witwe und seines besten Freundes, folgen zum Einstieg großformatige Bildimpressionen zum Hamburg der 1950er Jahre. Die Vorstellung der auf den Bildern zu sehenden Wagentypen kann ebenfalls nicht schaden um etwas theoretisches Wissen zu vermitteln. Ein Abschnitt „Betrieb“ gibt Auskunft zum Liniennetz und den Betriebsbahnhöfen. Hier ist dann auch einer der schönen von der HHA herausgegebenen farbigen Übersichtpläne auf Stadtplanbasis abgedruckt und dies gerade noch groß genug um Abbildungen verorten zu können. 

Der Hamburger Nahverkehr bestand nicht nur aus Straßenbahnen, so dass vor dem Beginn der Reise mit der Straßenbahn durch die einzelnen Stadtbereiche auch die übrigen Verkehrsmittel kurz im Bild vorgestellt werden, die Hoyer ebenfalls mit seiner Kamera dokumentiert hat. Bei den einzelnen Stadtbereichen ist die Innenstadt zwischen den Vororten eingereiht, was die Transportaufgabe der Straßenbahn „von draußen nach drinnen und umgekehrt“ gut wiedergibt. Den Epilog bildet ein fotografischer Blick auf die letzten Jahre und zeigt die Hamburger Straßenbahn so, wie sie die meisten Verkehrsfreunde noch in Erinnerung haben werden. Dazu muss man denn heute aber auch „schon jenseits die Mitte 50“ sein um da noch mitreden zu können! Die Bilder Hoyers werden an einzelnen Stellen, wo dies dem Autor sinnvoll erschien, durch einige wenige Aufnahmen anderer Verkehrsfreunde ergänzt. Dies gilt hauptsächlich für Farbbilder, bei deren Anfertigung Hoyer eher sparsam war, sein Metier waren in erster Linie die schwarz-weiß Aufnahmen.

Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Jahren 1956 bis 1959, welche wohl auch die Hauptschaffensperiode des Fotografen Hoyer bei der Straßenbahn darstellte, getrieben von der Vorahnung, dass es mit der Herrlichkeit der alten Wagen bald unweigerlich vorbei war. Die neue BOStrab war 1956 in Kraft getreten und gewährte für die Fahrzeuge, wie sie die HHA in großem Umfang einsetzte noch eine Übergangsfrist bis Ende 1959. Das wird Hoyer gewusst haben. Mit Ausnahme des Abschnitts über die Fahrzeuge zeigen seine Aufnahmen die Straßenbahn im Stadtbild und zwar mit allem „drumherum“ wie Autos, Menschen, Straßen- und Streckenzustand, Bebauung, aber auch jahreszeitlichen und wettermäßigen Unterschieden. Manche Abbildungen, deren Beschreibungen zusätzlich viel Wissen vermitteln, kann man lange betrachten und entdeckt doch immer noch was Neues.

Das Buch enthält weit über 300 Aufnahmen in unterschiedlichen Formaten, welche eine hohe Qualität bei Motiv und Wiedergabe bieten. Recht hoch ist die Anzahl der über zwei Buchseiten reichenden Großformate. Leider läuft bei einigen sehr schönen Aufnahmen der Seitenfalz an unglücklicher Stelle durch das Motiv und stört die Wirkung. Es gibt auch Abbildungen, bei denen die Negativqualität in der Größe nicht ganz mitspielt und die daher körnig wirken. Bei kleinerem Format wäre dieses Problem vermutlich nicht aufgetreten. Den Wert des Buches an sich mindert das aber nur minimal, es wäre nur noch etwas schöner geworden, wenn man hier mehr Bedacht an den Tag gelegt hätte!   

Eine derartige Veröffentlichung hat bislang für Hamburg gefehlt und der Autor schließt diese Lücke nun endlich.

Mehr als viele Worte lassen die Bilder auch erkennen, dass ein Straßenbahnbetrieb mit diesen Fahrzeugen in einer Stadt der Größe Hamburgs nur ein Angebot bieten konnte, was den Anforderungen und Bedürfnissen nicht wirklich gerecht wurde. Die Fahrzeuge sahen nicht nur uralt aus, sie waren es meistens auch. Das Erbe in Form eines bei der Übernahme von der Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft SEG durch die neu gegründete Hamburger Hochbahn AG 1919 übernommenen, riesigen und dabei hoffnungslos überalterten Wagenparks hat die Straßenbahn eigentlich während ihrer gesamten Existenz begleitet. Enge Gleisbögen verhinderten geräumige Fahrzeuge und antiquierte Technik wurde über Jahrzehnte beibehalten. Neue Triebwagen hat es über Jahrzehnte nur in bescheidenem Maße gegeben, stattdessen ist der Uralt-Wagenpark der SEG immer wieder umgebaut und modernisiert worden. Das dürfte entscheidend mit dazu beigetragen haben, dass dieses Verkehrsmittel schon Ende der 1950er Jahre von der Politik zum Auslaufmodell gestempelt wurde. So blieb denn auch die mit Ende der 1940er Jahre begonnene Modernisierung schon sehr früh stecken und die Politik setzten auf den Ausbau von U- und S-Bahn, in vielen weniger stark besiedelten Stadtteilen aber auch auf den Bus. Dem Einsatzverbot der Altwagen hatte man, von einer kleinen Serie angepasster (erneuter) Umbauten mal abgesehen, nicht etwa neue Fahrzeuge entgegenzusetzen, sondern eine sich im Laufe der Zeit immer mehr beschleunigende Reduzierung des Streckennetzes! Das Buch kann sowohl dem Straßenbahn- als auch dem Hamburg-Freund uneingeschränkt empfohlen werden.

Autor: Stefan Carstens

208 Seiten im Format 22,0 x 29,0 cm, gebunden

Herausgeber: VGB/Klartext-Verlag, Fürstenfeldbruck 2020

ISBN 978-3-8375-2225-9

Preis: 39,80 €

17.07.2020
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Harald Tschirner
Harald Tschirner
3 Jahre zuvor

Der Rezension kann man weitgehend zustimmen. Als einen erheblichen Webfehler empfinde ich jedoch die erwähnten zweiseitigen Bilder und den durch den Falz ebenfalls entwerteten Verkehrsplan. Hierzu sage ich nur: sehr schade und bei ein wenig Mitdenken vermeidbar.

Stefan Carstens
Stefan Carstens
3 Jahre zuvor

Danke für die sehr ausführliche und fundierte Besprechung des Hermann-Hoyer-Buches.
Der Bewertung kann ich mich auch als Verfasser uneingeschränkt anschließen.
Und auch die Kritik an den z.T. im großen Abdruck zu körnigen Bildern empfinde ich als berechtigt. Bei den von mir bearbeiteten Bildern war das Negativkorn nur bei zwei Bildern deutlich sichtbar: Den O-Bussen und dem „Wimmelbild“ am Berliner Tor, beides Schlechtwetterfotos, bei denen Hermann Hoyer auf einen lichtempfindlichen Film zurückgreifen musste. Einige wenige Bilder sind leider durch das Anheben des Kontrastes für den Druck bei der finalen Bearbeitung deutlich körniger geworden.
Zu den Bildern über den Bund bleibt anzumerken: Ich habe soweit es möglich war versucht die Bilder so zu skalieren und zu verschieben, dass optisch kritische Stellen nicht im Bund zu liegen kommen (im Übrigen sind die Bilder und auch der Netzplan im Bund so gedoppelt, dass auch bei diesen Abbildungen keine Information verloren geht). Nicht immer war dies möglich, weil dann in meinen Augen wesentliche Bildbestandteile am Rand abgeschnitten worden wären.