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Stadtbahn – Trolleybus – Seilbahn in Mexico City: Die STE im Aufwind

Es grenzt fast an einer Wunder: Über lange Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte schrumpft das Trolleybusnetz in der mexikanischen Hauptstadt – mit 30 Linien und über 1.100 Fahrzeugen einst eines der größten der Welt – Schritt für Schritt weiter zusammen, bis vor wenigen Jahren gerade einmal 130 Wagen nur noch 8 Linien befuhren, und das oft nur noch in unregelmäßigen Taktabständen. Der Betrieb schaffte sich beinah selbst ab, denn wenig verwunderlich suchten sich die potentiellen Fahrgäste andere, häufig noch weniger komfortable Fahrgelegenheiten wie Klein- und Dieselbusse. Der Investitionsrückstand bei der Betreibergesellschaft Servicios de Transportes Eléctricos (STE) war fast mit Händen zu greifen – die Infrastruktur vernachlässigt, die Trolleybusse selbst alle zwischen 20 und 35 Jahre alt und in heruntergekommenem Zustand.

Doch dann kam die Wende. Nach dem Wechsel in der Stadtregierung 2019 machte sich die neue Verwaltung unter der eben gewählten Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum daran, eines ihrer Wahlversprechen einzulösen: Den ÖPNV schnell zu verbessern und die Elektrifizierung der Busflotte voranzutreiben. Der (Wieder-)Aufbau verschiedener Trolleybuslinien und die Beschaffung von 500 neuen Trolleybussen standen ganz konkret im Wahlprogramm. Wir berichteten hier: https://www.urban-transport-magazine.com/betriebsstart-und-weitere-yutong-niederflur-o-busse-fuer-mexiko-stadt/.

Die Investitionen machen sich nicht nur in Form von neuen Fahrzeugen und neuer Infrastruktur bemerkbar. Auch die Fahrgastzahlen sind deutlich gestiegen. Während im Jahr 2019 lediglich 120.000 Fahrgäste täglich befördert wurden, sind es im Jahr 2023 im Durchschnitt 315.000 Fahrgäste pro Tag, d.h. weit mehr als das Doppelte.

500 neue Obusse!

Und so begann 2019 tatsächlich die umfassendste Flottenerneuerung in der langen Geschichte des Betriebes, die sich noch in diesem Jahr ihrem Abschluss nähert. Wir statteten der STE im Juli 2023 einen Besuch ab: Ihr Director General Martín López Delgado informierte ausführlich und nicht ohne Stolz über den umfassenden Wandel des Unternehmens und auch über die noch bevorstehenden Ausbaupläne.

Director General Martín López Delgado vor den 102 neu gelieferten Yutong Gelenkwagen im Depot Tetepilco | © UTM/b


Seit 2019 hat die STE in mehreren Wellen bislang insgesamt 425 Trolleybusse vom chinesischen Hersteller Yutong neu beschafft, darunter 152 Gelenkwagen. Sie sind wie folgt nummeriert:

Yutong 12m Zweiachser: 20001 – 20143 (Baujahre 2019-2020), 22001 – 22108 und 23001 – 23022 (Baujahre 2022/23): insgesamt 273

Yutong 18m Gelenkwagen: 21001 – 21050 (Baujahr 2020), 24001-24102 (Baujahr 2023): Insgesamt 152

Dazu kommen weitere 17 Neuwagen, die von zwei privaten Betreibern zum Einsatz auf der neuen Linie 10 angeschafft wurden: drei den STE baugleichen Yutong-Solowagen durch das Unternehmen CE4, nummeriert CE410-001 bis 003, und 14 Solowagen des chinesischen Herstellers Zhongtong durch die Firma IXTAPALLI, nummeriert als IXT10-001 bis 014. Binnen Jahresfrist ist noch die Beschaffung weiterer 70-75 Neuwagen vorgesehen, die voraussichtlich ebenfalls von privaten Betreibern angeschafft werden sollen. Allerdings ist die endgültige Entscheidung darüber noch nicht gefallen.

Alle älteren Trolleybusse wurden bis Januar 2023 außer Dienst gestellt und zum großen Teil bereits verschrottet. Davon ausgenommen sind lediglich 20 Wagen der Serie 9700/9800, die 2020/21 leicht modernisiert und in das aktuelle Farbschema blau umlackiert worden waren. Sie sind ebenfalls seit Januar abgestellt, verbleiben aber als betriebsbereite Reserve im nördlichen Depot Aragón, um bei Bedarf auf der Linie 4 noch eingesetzt zu werden.


Netzerweiterungen beim Trolleybus

Die umfassende Modernisierung betraf nicht nur den Fuhrpark, sondern auch die Infrastruktur. So wurden rund 30% der zuvor kupfernen Versorgungskabel durch solche aus Aluminium ersetzt. Das Netz erfuhr ebenfalls eine deutliche Ausweitung. Eine neue Linie 9 ging auf der Strecke der früheren Linie M Metro Apatlaco und Villa de Cortés im Januar 2021 in Betrieb, und im südöstlichen Stadtgebiet entstand in kurzer Bauzeit eine wie eine Hochbahn aufgeständerte Trolleybuslinie 10 auf Eigentrasse, über die wir hier berichtet hatten: https://www.urban-transport-magazine.com/mexico-city-ein-brt-trolleybus-als-hochbahn/.


Dieser „Trolebús Elevado“ fährt seit Oktober 2022 zwischen der Metrostation Constitución de 1917 vorerst bis Acahualtepec, die Verlängerung um eine Station bis Santa Marta wird bis Dezember 2023 erwartet. Baulich fertiggestellt ist außerdem die noch nicht in Betrieb genommene Haltestelle Tulpán. In Santa Marta schließt sich künftig die neue Linie 11 an, die auf gut 18 km Länge ebenfalls weitgehend auf Eigentrasse den Vorort Chalco im Umland erreichen wird. Sie verläuft zum Teil aufgeständert, zum Teil in Mittellage einer Schnellstraße. Hier soll ein größerer Teil der zuletzt beschafften 102 Gelenkwagen eingesetzt werden, die – soeben abgeliefert – derzeit im Hauptdepot Tetepilco geparkt stehen. Die Inbetriebnahme der Linie 11 ist voraussichtlich in der ersten Hälfte 2024 zu erwarten. Als weiteres aktuelles Ausbauvorhaben steht im gleichen Zeitraum die Verlängerung der Linie 10 am anderen Ende, allerdings auf Straßenniveau und nicht aufgeständert, von Constitución 1917 bis Metro Mixcoac auf dem Plan. Bis Insurgentes wird dabei die Fahrleitung der früheren Linie E entlang der sogenannten Eje 8 Sur wieder aufgebaut, während das übrige Streckenstück bis Mixcoac von den Trolleybussen im Batteriebetrieb zurückgelegt wird. Die STE hat damit bereits gute Erfahrung gemacht, so wurden bereits drei der bestehenden Trolleybuslinie über ihre Endpunkte hinaus auf Strecken erweitert, die keine Fahrleitung haben und deshalb im Batteriemodus zurückgelegt werden. Das sind im Einzelnen:

Linie 2: Aufgrund der vollständigen Modernisierung und zeitlich begrenzten Außerbetriebsetzung der U-Bahnlinie 1 zwischen Innenstadt und Pantitlán wurde am 11. Januar 2021 die O-Buslinie 2 vom bisherigen Endpunkt Velodromo um 9,5 km zum U-Bahnknoten Pantitlán verlängert und wendet hier in einer Blockumfahrung.

Linie 5: Diese Linie wird seit 7. März 2023 morgens und abends während der Hauptverkehrszeit vom bisherigen Endpunkt Metro Hidalgo um ca. 3 km bis zum Diana Brunnen auf der Prachtstraße Paseo de la Reforma verlängert. Dabei werden die Busspur und die vorhandenen Haltestellen des BRT Systems Metrobus benutzt.

Linie 7: Nach dem tragischen Einsturz eines Viaduktes der U-Bahnlinie 12 am 3. Mai 2021 wurde der U-Bahnverkehr auf dieser Strecke bis auf weiteres suspendiert bzw. im Tunnelbereich später wieder aufgenommen. Als Ersatz wurden u.a. O-Busse der bestehenden Linie 7 von Taxqueña auf einer Strecke von ca. 25 km parallel zur Strecke der Linie 12 nach Tláhuac geführt.

Die neue Linie 10 wird aufgrund noch nicht vollständig komplettierter Oberleitung auf der neuen Trolebus Elevado Strecke ebenfalls ein Teil der Strecke im Batteriemodus gefahren. Darüber hinaus wird der Batteriemodus auch regelmäßig für Umleitungs- und Überführungsfahrten genutzt, zum Beispiel auf der Linie 9. Hier findet auf der Avenida Canal de Apatlaco zweimal wöchentlich ein Wochenmarkt statt, so dass die vorhandene Oberleitung nicht genutzt werden kann. Als Umleitung fahren die Batterie-O-Busse über Parallelstraßen, auf denen keine Oberleitung hängt, im Batteriemodus. Auch während der Bauarbeiten an der Stadtbahn Tren Ligero fuhren Trolleybusse im Winter 2021/22 als Ersatz und luden dann ihre Batterien bei anschließendem Einsatz auf der Hauptlinie 1 wieder auf. Die Trolleybusse haben eine Reichweite von bis zu 75 km im Batteriebetrieb. Die STE hat bei Testfahrten sogar bis zu 100 km auf diese Weise zurückgelegt.

Zhongtong Trolleybus des privaten Konzessionärs Ixtapalli im Batteriemodus bei der Haltestelleneinfahrt in Constitución de 1917, rechts Cablebús Linea 2 | © Budach
Die Linie 5 wurde über die Endstelle Hidalgo (im Bild) hinaus verlängert, ohne Fahrleitung im Batteriemodus | © Budach


Tren Ligero

Die 13 km lange Stadtbahnlinie Tasqueña – Xochimilco wird – anders als die Metrolinien – ebenfalls durch die STE betrieben. Ihre gesamte Strecke wurde 2019/2020 umfassend modernisiert, auch in die Stromversorgung investierte die STE. Über die Beschaffung von 9 zusätzlichen Zügen beim chinesischen Hersteller CRRC Zhuhou hatten wir bereits hier berichtet:
https://www.urban-transport-magazine.com/neue-stadtbahnwagen-fuer-mexiko-stadt/

Der erste dieser Neuwagen soll noch in diesem Herbst eintreffen, er wurde im September 2023 bereits beim Hersteller präsentiert. Damit stehen dann auf Sicht 21 Gelenktriebwagen zur Verfügung, die eine Taktverdoppelung auf der sehr stark nachgefragten Strecke erlauben sollen.

Pläne aus den 1990er Jahren, auch weitere Vororte mit Stadtbahnen zu bedienen, werden nicht weiterverfolgt. Stattdessen setzen Stadtregierung und STE nun voll auf die oben genannten O-Busse auf Eigentrasse.

Weichensteller an der Endstelle Tasqueña der Stadtbahn Tren Ligero mit älterem Bombardier-Zug | © Budach
Der erste der neuen Tren Ligero Stadtbahnwagen von CRRC | © CRRC
Neue CRRC Stadtbahn für STE Mexico | © CRRC

Cablebús

Die STE ist außerdem Betreiber der beiden Seilbahnen Cablebús 1 und 2, die im Juli und August 2021 eröffnet wurden und speziell ärmere und sozial benachteiligte Stadtteile gut erschließen. Linie 1 errichtete Doppelmayr, Linie 2 der Hersteller Leitner. Die Linien haben sich sehr schnell als sehr erfolgreich herausgestellt. Eine dritte Linie im zentralen Stadtteil Chapultepec ist im Bau und soll bis Anfang 2024 eröffnet werden.

Während die Linie 1 einen Abzweig nach Tlalpexco aufweist, verläuft die 10,6 km lange Linie 2 über die dicht bebauten und besiedelten Hügel von Iztapalapa. Aufgrund ihrer Länge ist die Linie im Jahr 2021 als weltweit längste Seilbahnlinie ins Guiness Buch der Rekorde aufgenommen worden. Sie verbindet beide Endpunkte des beschriebenen Trolebús Elevado, führt jedoch über die bislang nur schwer zugänglichen Viertel auf den Hügeln von Iztapalapa, auf denen sich auch viele informelle Siedlungen befinden. Die 9,2 km lange Linie ist die zweitlängste Linie weltweit. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die technischen Parameter der Linien.

Tabelle 1: Übersicht der drei urbanen Seilbahnen von Mexiko Stadt I Quelle: STE

Die dritte, ca. 5,4 km lange städtische Seilbahnlinie wird neben ihrer Funktion als Zubringer zwischen dem ebenfalls im Bau befindlichen Tren Interurbano, einer neuen S-Bahn Strecke von Toluca nach Mexiko Stadt und dem ÖPNV-Knotenpunkt Chapultepec als auch als touristische Attraktion dienen, da der große Chapultepec Park mit dem Habsburger Schloss, dem Zoo und großen Parkanlagen einen wichtigen Publikumsmagneten darstellt.

Daneben bestehen im Norden der Stadt seit 2016/23 zwei weitere Seilbahnen, ebenfalls von Leitner errichtet, die jedoch vom Gobierno del Estado de México (Bundesstaat México, der ein eigener Bundesstaat ist und die Stadt Mexiko umgrenzt) unter dem Namen „Mexicable“ betrieben werden.

Die Seilbahnen schweben über den Stau hinweg! | © Budach
Cablebus Linea 2, gebaut von von Leitner | © UTM/b


Weitere Artikel über den Stadtverkehr in Ciudad de México:

Yutong-Gelenk-Trolleybus im Zuge der Eigentrasse gegen die Einbahnstrassenregelung entlang der Linie 1 auf der Eje Central, nahe Palacio Bellas Artes | © Budach
30.08.2023
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