Kalkutta (Kolkata) hat das letzte überlebende Straßenbahnsystem in Indien. Das System befindet sich seit vielen Jahren im Niedergang, da es an Investitionen in die veraltete Infrastruktur und den Fuhrpark mangelt. Aber jetzt gibt es einige Zeichen der Hoffnung am Horizont.
Die Straßenbahn von Kolkata (Kalkutta) ist ein lebendiges Kulturerbe, das bedroht ist. Sie wurde im Jahr 1873 eingeführt. Es handelt sich um ein einzigartiges Massentransportsystem in Asien, das nie eingestellt wurde und immer noch die gleiche Technik, die gleichen Gleise und Traktionen sowie das gleiche Bedienungsgebiet verwendet, da das System ab 1902 elektrifiziert wurde. Heute macht die Überlastung und Verschmutzung durch andere Verkehrsmittel in Verbindung mit der großen Zuneigung, die die Straßenbahnen bei den täglichen Pendlern genießen, sie zu einem erhaltenswerten Erbe. Es ist ein Wandel in der Denkweise: Die Menschen sehen sie nicht nur als ihr Eigentum an, sondern auch als eine Antwort auf die Probleme der Gegenwart.
Gründung der Calcutta Tram Users Association
Die Calcutta Tram Users Association (CTUA), ein Bürgerforum, wurde im Dezember 2016 gegründet, um ein öffentliches Bewusstsein für die Vorteile von Straßenbahnen im Allgemeinen zu schaffen, öffentliche Unterstützung für das marode Straßenbahnsystem von Kalkutta zu sammeln und auch um Wege zur Verbesserung der Straßenbahnen der Stadt zu finden. Bis zur Gründung dieser Vereinigung gab es keine konsolidierte öffentliche Stimme zur Unterstützung von Kolkatas Straßenbahnen, und die Notwendigkeit einer solchen war zu dieser Zeit stark spürbar, da sich das Straßenbahnsystem 2016 in einem ernsthaften Niedergang befand. Das Ziel von CTUA ist es, einen konstruktiven Dialog mit der Staatsregierung zu eröffnen, um Wege zur Wiederbelebung der Straßenbahnen zu finden. Sie haben auch verschiedene Aktivitäten sowohl vor Ort als auch im virtuellen Raum unternommen, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Modernisierung und des Ausbaus der Straßenbahnen in der Stadt zu schärfen. Zu den Aktivitäten gehören: Protestmahnwachen, das Verteilen von Flugblättern, die Teilnahme an Foren und Seminaren, die Zusammenarbeit mit den Medien, Unterschriftenaktionen, Petitionen, die Durchführung von Audits der Straßenbahnanlagen, die Kontaktaufnahme mit ausländischen Straßenbahnverbänden, Stadt- und Verkehrsplanern usw.
Die öffentliche Unterstützung war ermutigend und CTUA hofft, einen spürbaren Einfluss auf das Erbe der Straßenbahn in Kolkata und den zukünftigen Fortschritt zu nehmen. Der Verein ist aus den Kolkata-Melbourne Tramjatra-Festivals hervorgegangen, einer Idee von Roberto D’Andrea, einem pensionierten Straßenbahnschaffner/Fahrer aus Melbourne. Er organisiert dieses einzigartige interkulturelle Kunstprojekt seit 1996 und ist ein wahrer Kreuzritter der Straßenbahnen von Kalkutta. Es war während einer Reise nach Indien im Jahr 1994, als Roberto zum ersten Mal einen Blick auf das Straßenbahnsystem in Kolkata warf. Er verliebte sich sofort in die Stadt und ihren kolonialen Schatz und schloss eine herzliche Freundschaft mit den Straßenbahnarbeitern des Belgatchia Depots. Kalkutta und Melbourne sind zwei der wenigen überlebenden Straßenbahnsysteme, die außerhalb Europas kontinuierlich in Betrieb sind. Als die Straßenbahnen in Kalkutta 1996 von der Schließung bedroht waren, reagierten Roberto und andere aus Melbourne auf die Hilferufe und Tramjatra war geboren – eine Zusammenarbeit zwischen den Straßenbahnarbeitern und den straßenbahnbegeisterten Gemeinden von Melbourne und Kalkutta – und feierten die einzigartigen Straßenbahnkulturen der beiden Städte. Im Laufe der Jahre hat Roberto als Teil von Tramjatra Straßenbahnarbeiter und Experten aus Melbourne mitgebracht, um die bestehende Infrastruktur von CTC zu verbessern. Ein solches Unterfangen resultierte in der Konkretisierung einiger weniger Strecken. Heutzutage unterstützt Roberto weiterhin ähnliche Bestrebungen und versucht, einen Kontakt zwischen den beiden lokalen Regierungen, d.h. Melbourne und Kolkata, zum Nutzen der Straßenbahnen in Kolkata herzustellen.
Gründung der Tram World Kolkata (TWK)
Anlässlich des 140-jährigen Jubiläums der Calcutta Tramway Company (CTC) wurde das Konzept der „TRAM WORLD“ eingeführt. Die Tram World Kolkata (TWK) wird im Straßenbahndepot Gariahat, in der Nähe des Ballygunge Phari, errichtet. Die TWK wurde von der West Bengal Transport Corporation konzipiert, die die Straßenbahnen in Kolkata betreibt. „Die Tram World Kolkata wird ein einzigartiges Geschenk für Straßenbahnliebhaber sein“, sagte Rachhpal Singh, Vorsitzender der WBTC.
„Die Idee hinter Tram World Kolkata ist eine doppelte. Alte Straßenbahnen, die in Vergessenheit geraten wären, werden in ein neues Leben verwandelt. Außerdem können die Leute das TWK besuchen und in Kunst, Straßenbahnliebe, Musik usw. eintauchen. Die Idee ist, die Jugend für die Kultur Kolkatas zu gewinnen“, sagte Rajanvir Singh Kapur, MD WBTC. Ein besonderer Dank gilt den jungen Köpfen Arghyadip Hatua & Abhishek Acharya für ihre ständige Unterstützung und Idee. Das TWK wird nicht als Museum positioniert, sondern als ein Ort, den alle besuchen können, um in die Straßenbahnnostalgie einzutauchen und auch um eine gute Zeit zu haben. „Das TWK soll kein Museum sein. Es ist viel mehr. Es ist ein Ort, an dem man kommen und eine gute Zeit verbringen kann. Es wird Kunst, Musik, Essen, einen Platz für Adda und Straßenbahnliebe geben“, sagte Rajanvir Singh Kapur, MD West Bengal Transport Corporation Limited (WBTC), der Betreiber der Straßenbahn seit 1978 (vorher Calcutta Tramways Company Ltd.).
Die Tram World verwandelt alte Straßenbahnen, die sonst auf dem Schrottplatz gelandet wären, in einen dauerhaften Bereich, den Straßenbahnliebhaber und -kenner besuchen und verbringen können. Die TWK hat alte Straßenbahnwaggons, so alt wie Baujahr 1938, aufgegriffen und sie zu Zonen mit Kunst, Musik, Fotos, Museum, Essen usw. gemacht. Eine Ausstellung von mehr als 20 historischen Straßenbahnwagen wurde erstellt und ist für die Öffentlichkeit zugänglich.
Betriebliche Verbesserungen
Nach mehreren Jahren der Betriebsunterbrechung aufgrund von Straßen- und U-Bahn-Bauarbeiten und in jüngster Zeit auch als Folge der Schäden, die der Zyklon Amphan Anfang 2020 verursachte, wurden im übrigen Straßenbahnnetz einige kleinere Investitionen in die Infrastruktur getätigt. Der traditionelle Umsteigepunkt Esplanade wurde wieder an das Netz angeschlossen und ist nun Endstation der Linien 5, 25 und 36. Sechs Linien sind im aktuellen Netz enthalten, mit den Nummern 5, 11, 18, 24/29, 25 und 36:
5: Esplanade – Shyambazar
11: Howrah-Brücke – Shyambazar
18: Howrah-Brücke – Badhan Nagar
24/29: Ballygunge – Tollygunge
25: Esplanade – Straßenbahndepot Gariahat
36: Espalande – Khiderpore
Diese Linien verkehren meist im 15-Minuten-Takt, jedoch haben die Folgen des COVID19 den Betrieb in den letzten Monaten erheblich eingeschränkt. Derzeit ist der reguläre Betrieb auf die Linien 5, 11 und 25 beschränkt, aber die Wiederaufnahme des Verkehr auf den übrigen Linien wird für die nahe Zukunft erwartet. Insbesondere die schon lange angekündigte Wiederaufnahme des Verkehrs auf der Linie 36, die schon seit Jahren außer Betrieb ist, stößt dabei auf besonders großes Interesse.
Die meisten der in Betrieb befindlichen Straßenbahnwagen haben eine Lackierung in den aktuellen blauen und weißen Farben erhalten. Es werden Sonderfahrten für Touristen und Besucher der Stadt sowie zwei spezielle Hin- und Rückfahrten angeboten.
Neue Bedrohungen
In den vergangenen Wochen hat sich allerdings die Haltung der lokalen Kolkata Police Verwaltung als weitere Bedrohung der längerfristigen Zukunft des Systems herausgestellt. Die Polizeibehörde dringt darauf, Gleisanlagen verschiedener, aufgrund von Straßen- und/oder Metro-Bauarbeiten, vorübergehend stillgelegter Strecken kurzfristig abbauen zu lassen. Sie stellten angeblich eine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer dar. Dies betrifft u.a. SN Banerjee Road, Bidhan Sarani, Rabindra Sarani, Galiff Street und um die Belgachia Bridge herum. Die West Bengal Transport Corporation (WBTC) als Betreiber der Tram wehrt sich vehement gegen diese Maßnahmen und hebt dabei die geplante Wiederinbetriebnahme diverser Streckenabschnitte für die kommenden Monate hervor. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Auseinandersetzung mit politischem Hintergrund – aktuelle Äußerungen aus dem Transportministerium lassen erkennen, dass diese Maßnahme voraussichtlich nicht in vorgeschlagenem Umfang umgesetzt werden wird.
Fazit
Um die langfristige Zukunft dieses einzigartigen Straßenbahnsystems zu sichern und ihm zumindest einen Teil seiner ehemals wichtigen Rolle als Rückgrat des öffentlichen Verkehrsnetzes von Kalkutta zurückzugeben, sind erhebliche weitere Investitionen erforderlich, die im Zusammenhang mit einer langfristigen Strategie für den öffentlichen Verkehr der Stadt stehen. Wie in anderen Teilen der Welt könnten die Straßenbahnen zusätzlich zum 2-Linien-Metro-System eine wichtige Rolle spielen, zum Nutzen der 8 Millionen Einwohner der Stadt. Investitionen zur Modernisierung und zum schrittweisen Ausbau in Form eines modernen, leistungsfähigen Niederflur-Stadtbahnsystems sind dafür allerdings dringend erforderlich. Kalkutta könnte hier ein bemerkenswertes Zeichen setzen.
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Weitere Bilder aus der Vergangenheit der Tram Kalkutta (1997) – bitte anklicken zum Öffnen
Text ergänzt am 22.11.21
21.11.2021
Nicely summed up and hope the tides will turn, the English version of this is not available
[…] besondere historische Straßenbahnen… und auch eine Linie 5. Arghyadip Hatua berichtet im Urban Transport Magazin darüber. Schau mal, so sieht hier die Straßenbahnlinie 5 in Kalkutta […]