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Wie die ÖPNV-Branche Kundinnen und Kunden so schnell wie möglich zurückgewinnen will

Homeoffice, Home-Schooling und Vorbehalte bezüglich der Hygiene im ÖPNV haben zu massiven Fahrgastrückgängen geführt - nicht nur in Dresden (Bild) I © UTM

Schwerpunktthema: Planung & Betrieb

„Aus der Krise zurück in die Mobilitätswende warten viele Herausforderungen“

Die Corona Pandemie hat die Fahrgastzahlen in vielen ÖPNV Unternehmen nach unten gedrückt. Die räumliche Enge, der Kontakt mit fremden Menschen und die von vielen Menschen befürchtete Infektionsgefahr haben dazu geführt, dass viele Pendler und ÖPNV Nutzer auf das Auto oder Fahrrad umgestiegen sind – sofern sie überhaupt noch zur Arbeit fahren mussten und nicht zu Hause im Homeoffice arbeiten konnten. Bei den meisten deutschen Verkehrsbetrieben lagen die Fahrgastzahlen der ersten Welle rund 70% unter den Vor-Corona Werten, in der zweiten und dritten waren es noch rund 30 – 50 %. In den vergangenen Monaten hatten namhafte Betreiber wie die Deutsche Bahn und die Berliner Verkehrsbetriebe versucht, mittels wissenschaftlicher Studien nachzuweisen, dass das Infektionsrisiko in Bus und Bahn sehr gering ist. Wir berichteten hier. Dies trägt allmählich zu einer gewissen Erholung bei. Andererseits haben sich viele Arbeitnehmer an das Homeoffice gewöhnt und in der Sommerzeit sind viele Menschen im Urlaub und nutzen den ÖPNV deutlich weniger. Diese Entwicklung hat natürlich wirtschaftliche Folgen für die ÖPNV Betreiber.

Auch der Hamburger ÖPNV, im Bild die S-Bahn am Hauptbahnhof, leidet unter Fahrgastrückgängen durch Corona I © UTM

Verlängerung des ÖPNV-Rettungsschirms sichert bundesweites Nahverkehrsangebot auch für 2021

Die prognostizierten Einnahmeverluste der Branche liegen nach VDV-Berechnungen für die Jahre 2020 und 2021 bei insgesamt rund sieben Milliarden Euro. Bund und Länder haben vereinbart, diese Verluste jeweils zur Hälfte auszugleichen. Während der Bund im vergangenen Jahr im Rahmen der Coronahilfen sehr schnell und unkompliziert 2,5 Milliarden zur Verfügung gestellt hatte und nun nochmal eine Milliarde zusätzlich bereitstellen wird, sind in diesem Jahr die Länder in der Verantwortung den größeren Anteil der Mittel bereitzustellen. „Mit dem nun gefassten Beschluss zum ÖPNV-Rettungsschirm 2021 übernehmen Bund und Länder erneut gleichermaßen die Verantwortung für den Ausgleich der Coronaverluste unserer Branche. Die politischen Entscheider haben uns aufgefordert, trotz deutlicher Fahrgastrückgänge während der Pandemie unsere Angebote möglichst uneingeschränkt aufrecht zu erhalten, damit alle Fahrgäste die auf Bus und Bahn angewiesen sind, sich auch weiterhin auf einen funktionierenden ÖPNV verlassen können. Dies haben wir seit März letzten Jahres mit hohem Engagement in den Verkehrsunternehmen bundesweit umgesetzt, um unseren Teil zur Krisenbewältigung beizutragen. Der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden wird nun durch die Fortführung des ÖPNV-Rettungsschirms auch für das 2021 weitestgehend ausgeglichen“, so Wortmann.

Dankeschön-Aktion für ÖPNV-Stammkunden

Die Nahverkehrsunternehmen und Verbünde in Deutschland wollen mit zahlreichen Maßnahmen ab Sommer so viele Kundinnen und Kunden für den ÖPNV zurückgewinnen, wie möglich. Neben verschiedenen regionalen und landesweiten Aktivitäten, bei denen die Fahrgäste mit ihren Tickets zusätzliche Angebote, wie erweiterte Mitnahmemöglichkeiten und Geltungsbereiche, nutzen können, wird vom 13. bis 26. September eine bundesweit einmalige Aktion umgesetzt. Diese richtet sich als Dank an alle Abonnent*innen. In den zwei Wochen im September können Fahrgäste, die ein gültiges ÖPNV-Abo besitzen, bundesweit ohne zusätzliche Kosten Nahverkehrsangebote nutzen (weitere Details dazu am Ende dieses Textes).

Nur mit Mund-Maske: Straßenbahn mit Fahrgästen in Düsseldorf I © UTM

„Allein, allein“ – die BVG Kampagne

Einen kreativen Weg sind vor wenigen Wochen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gegangen, um auf die fehlende Nachfrage im ÖPNV aufmerksam zu machen. Mit der BVG-typischen Selbstironie, ein bisschen Wehmut und Pathos und ganz viel Zuversicht findet all dies Platz im neuen BVG-Film „Wir fahren allein allein“, der seit dem 21. Mai 2021 online in den BVG-Kanälen zu sehen ist BVG – Wir fahren allein allein – YouTube. Produziert wurde der Film von der Agentur Jung von Matt SAGA nach dem Song „Allein, Allein“ der Band Polarkreis 18.

Auch abseits von Selbstironie, Pathos und Kunst ist gibt es natürlich den wahren Kern. Er lautet: Die meisten Fahrer*innen fahren zwar nicht „allein allein“ durch Berlin, aber doch mit deutlich leereren Fahrzeugen als vor der Pandemie. Die Nachfrage liegt seit Jahresbeginn 2021 bei ungefähr 50 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Trotzdem fährt die BVG das volle Fahrplanangebot, damit alle Menschen auch in schweren Zeiten jederzeit gut, schnell und sicher an ihr Ziel kommen.

„Natürlich wird das Thema im Film künstlerisch übertrieben, denn selbstverständlich fahren wir auch in Pandemiezeiten nicht ständig mit leeren Bussen und Bahnen durch die Stadt“, sagt BVG-Vorstandsvorsitzende Eva Kreienkamp. „Die starken Bilder drücken aber aus, was wir meinen und viele Kolleg*innen fühlen. Die emotionalen Botschaften lauten: Wir vermissen euch. Wir freuen uns sehr auf ein Wiedersehen. Wir sind für euch da. Und wir müssen alle noch ein wenig durchhalten, dann werden wir gemeinsam Berlin wieder zu der bunten, wuseligen und immer mobilen Metropole machen, die wir so lieben.“

Wie aber können die ÖPNV Betreiber ihre Fahrgäste zurückgewinnen?

Ingo Wortmann, Präsident des Branchenverbands VDV sagte: „Die Rückgewinnung der Fahrgäste steht ab sofort ganz klar im Fokus der Branche. Nachdem wir, dank der Unterstützung durch Bund und Länder, durch zwei Corona-Rettungsschirme in den Jahren 2020 und 2021 die allergrößten Einnahmeverluste ausgleichen konnten, müssen und wollen wir nun so schnell wie möglich Fahrgäste zurückgewinnen. Denn mit Blick auf die Klimaschutzziele im Verkehrssektor, bei deren Erreichung bis 2030 der ÖPNV eine Schlüsselrolle spielt, ist es nötig, möglichst zeitnah nicht nur genauso viele Menschen wie vor der Covid-Krise in Bussen und Bahnen zu befördern, sondern deutlich mehr. Selbstverständlich haben wir die Pandemieentwicklung dabei weiterhin fest im Blick und setzen nur das um, was im Rahmen der geltenden Bestimmungen möglich ist.“

Aktuell liegen die Fahrgastzahlen zumindest in den Großstädten und Ballungsräumen wieder bei etwa 60 % des Vorkrisenniveaus, im zweiten Lockdown Ende 2020 waren nur ca. 40 % der sonst üblichen Fahrgäste mit dem ÖPNV unterwegs. Doch trotzdem ist die Branche noch weit entfernt von den letzten Fahrgastrekordwerten aus dem Jahr 2019 (10,4 Milliarden Fahrgäste). Dies liegt zum einen daran, dass durch weniger Tourismus, durch anhaltende Kurzarbeit, eingeschränkte Schulöffnungen und noch nicht wieder stattfindende Großveranstaltungen vielen Menschen nach wie vor die Fahrtanlässe fehlen. Aber es zeigen sich durch die lange Dauer der Lockdowns auch Trends eines veränderten Mobilitätsverhaltens.

Leere Büros und leere Züge – dieser Umstand hat die Corona-Pandemie mit sich gebracht. Nicht nur in Warschau, wie im Bild, sondern auch in Deutschland und vielen Ländern weltweit I © UTM

„Digitalisierung, Homeoffice und auch die Unsicherheit vor möglichen Ansteckungen, vor allem zu Beginn der Pandemie, haben zu einer Zunahme von individueller statt geteilter Mobilität geführt. Zudem haben unsere Fahrgäste, die auch während der vergangenen 15 Monate mit uns gefahren sind, höhere Qualitätsansprüche bzgl. der Abstände im Fahrzeug, bei Reinigung und Fahrgastinformationen. Mit diesen Veränderungen müssen wir als Branche umgehen. Wir brauchen neben dem noch immer preislich attraktiven Jahresabo deshalb zum Beispiel vermehrt flexiblere Ticketangebote und wir müssen noch stärker als vorher durch Verknüpfung multimodaler Verkehrsangebote auf die individuelleren Mobilitätsbedürfnisse der Kundinnen und Kunden reagieren. Und natürlich müssen wir die Kapazitäten und das Leistungsangebot im ÖPNV bis 2030 massiv erhöhen, um mehr Menschen mit Blick auf die Erreichung der Klimaschutzziele zum Umstieg zu bewegen“, so Wortmann.

Leistungskostengutachten ermittelt den zusätzlichen Finanzbedarf

Um mithilfe des ÖPNV die Klimaschutzziele im Verkehrssektor bis 2030 zu erreichen, müsste unter anderem die Betriebsleistung (Fahrzeugkilometer) in den kommenden neun Jahren um 60 % erhöht werden, die Verkehrsleistung (Personenkilometer) müsste im selben Zeitraum um 24 % steigen. Zu diesen Ergebnissen kommt ein unabhängiges Leistungskostengutachten im Auftrag des VDV. Dadurch und durch weitere Maßnahmen, etwa den umfangreichen Ausbau von On-Demand-Verkehren im ländlichen Raum, entstünden den Verkehrsunternehmen laut Gutachten Kostensteigerungen um etwa 90 % im Vergleich zu heute. Die Erlöse, vornehmlich durch Ticketeinnahmen, können allerdings nur um rund 50 % gesteigert werden. So entsteht eine Finanzierunglücke, die ohne zusätzliche Finanzmittel auf elf Milliarden Euro im Jahr 2030 anwächst. „Wir müssen die ÖPNV-Angebote deutlich erweitern, können aber die daraus entstehenden Kosten für die Mobilitätswende nicht den Fahrgästen in Rechnung stellen. Wir müssen also mit Bund, Ländern und Kommunen über eine kohärente Finanzierung des Gesamtsystems ÖPNV bis 2030 sprechen und Lösungen dafür finden“, erklärt Wortmann abschließend.

Viele Pendler sind während der Corona-Krise auf das Auto oder Fahrrad umgestiegen – sofern sie überhaupt noch zur Arbeit oder Schule fahren -im Bild der Anger in Erfurt I © UTM

Die Details zur Dankeschön-Aktion für ÖPNV-Stammkunden Mitte September

Neben der mittelfristig notwendigen Angebotsausweitung im ÖPNV steht in den kommenden Monaten, wenn der Pandemieverlauf dies weiterhin zulässt, vor allem die Rückgewinnung der Fahrgäste im Vordergrund. Im Rahmen der bundesweiten Gemeinschaftskampagne #besserweiter, die von Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und den Verkehrsunternehmen unter Federführung des VDV umgesetzt wird, gibt es verschiedene Maßnahmen, um das Vertrauen der Kundinnen und Kunden in Bus und Bahn wieder nachhaltig zu stärken. Für die Abonnent*innen wird die Branche gemeinsam mit den Bundesländern eine besondere und einzigartige Aktion umsetzen: Vom 13. bis zum 26. September können alle Fahrgäste, die ein gültiges ÖPNV-Abo besitzen, in den teilnehmenden Verkehrsverbünden in ganz Deutschland das dortige Bus- und Bahn-Angebot des Nahverkehrs ohne zusätzliche Kosten nutzen. Dafür gelten folgende Rahmenbedingungen:

  • Zeitraum: zwei Wochen vom 13. bis 26.9.
  • Berechtigung: ÖPNV-Abo-Tickets aller Kundengruppen
  • Gültigkeit: bundesweit bei teilnehmenden Verkehrsunternehmen und Verbünden (90 % bereits zugesagt, einige noch in der finalen Prüfung), gültig im ÖPNV und SPNV
  • Fernverkehr: Abo-Kund*innen berechtigt für Kauf einer vergünstigten BahnCard 25
  • Anmeldung zentral via Internetportal (wird gerade aufgebaut)
  • Kundeninformation: erfolgt rechtzeitig zentral über die Gemeinschaftskampagne #besserweiter und über die Verkehrsunternehmen und Verbünde
  • Umsetzung der Aktion in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen

Quellen: VDV/ BVG

20.07.2021
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